von Hoetmar
KUNSTHALLE DRESDEN
09.12.2000
Dr. des. Margit im Schlaa
"Malerei
der 4. Art"
Während
meiner Auseinandersetzung mit der Kunst von Hoetmars fiel mir ein Zitat des
französischen Künstlers Paul Cézanne ein, das ein Charakteristikum der
Moderne auf den Punkt bringt: "Man muß sich beeilen, wenn man noch etwas
sehen will. Alles verschwindet." Cézanne spielt hier auf die drastischen
Auswirkungen an, die die technischen Neuerungen der Moderne auf die Wahrnehmung
hatten. Ganz ähnlich wie seinerzeit Baudelaire beklagte er, daß die neuen
optischen Apparate, der Verkehr und die Reklameästhetik der Moderne das Großstadtleben
beschleunigt und dadurch einen Schock in der Wahrnehmung ausgelöst hätten: die
zunehmende Geschwindigkeit habe die kontemplative Ruhe gestört und Zerstreuung
bewirkt. Dieses Wahrnehmungsphänomen der Moderne und der Postmoderne, das der
französische Medientheoretiker Paul Virilio als Effekt einer "Ästhetik
des Verschwindens" bezeichnet hat, kehrt sich in von Hoetmars Kunst um. Er
integriert das wichtigste, technologische Novum der Moderne, das elektrische
Licht, derart in seine Malerei, daß es im Zusammenspiel mit dem natürlichen
Tageslicht nach und nach immer neue, fantastische Bilder sichtbar werden läßt.
Damit macht er die Befürchtung der modernen Künstler zunichte, daß die
technischen Erfindungen der Moderne die Wahrnehmung stören und damit zugleich
das Überleben der Malerei gefährden könnten: in seinen Lichtbildern werden in
einem kontinuierlichen zeitlichen Prozeß sich verändernder Lichtverhältnisse
verschiedene Malschichten freigelegt, deren Wahrnehmung nicht auf
Geschwindigkeit, sondern auf die Wiederentdeckung der Langsamkeit setzt.
Bei dieser verblüffenden Neudefinition von Malerei spielen von Hoetmars Aktstudien eine immer bedeutendere Rolle. Bis 1996 betrieb der Künstler das Aktzeichnen als unabhängige künstlerische Arbeit. In diesem Jahr hat er es jedoch als eine Art "disziplinarische Maßnahme" wieder aufgenommen, um einerseits seine freie Arbeit zu bereichern und andererseits die Aktstudien als Vorlage für seine Lichtbilder zu benutzen. Die wechselseitige Beeinflussung von Aktstudien und Lichtbildern wird dadurch begünstigt, daß sich ihr Herstellungsprozeß ähnelt. In beiden Fällen präpariert von Hoetmar die Bildfläche, in beiden Fällen arbeitet er mit dem "gelenkten Zufall", der sich aus der Notwendigkeit ergibt, schnell und ohne Korrekturmöglichkeit zu arbeiten. Doch es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen den Akten und den Lichtbildern, nämlich die bereits erwähnte Einbeziehung der Zeit in die Lichtbilder. Diese vierte Dimension verleiht seiner Malerei ihren einzigartigen und hoch modernen Charakter, denn erst mit dem Vergehen von Zeit wird die ausgeklügelte Lichtinszenierung seiner Bilder als gestalterisches Mittel erkennbar, das die permanente Veränderung seiner Gemälde begründet. Von Hoetmars Lichtbilder leben vom Licht, von Leuchtstoffröhren hinter den Bilderrahmen, die immer angeschaltet sind, und vom Tageslicht, das von den Bildoberflächen reflektiert wird, also von künstlichem und natürlichem Licht, das die Bilder in einen endlosen Energiekreislauf bettet. Innerhalb von 24 Stunden verändern sich die Lichtbilder ständig, indem sie sukzessive die verschiedenen Malschichten zur Erscheinung bringen, die von Hoetmar auf die Leinwand aufgetragen hat.
Damit Sie
nun nicht in der Ausstellung übernachten müssen, um die langsame Veränderung
der Lichtbilder mitzubekommen, wird der Künstler den Wechsel von Tageslicht zu
künstlichem Licht am Abend gleich mit Hilfe der hier aufgebauten Technik abkürzen
und Ihnen das eindrucksvolle Schauspiel in komprimierter Form vor Augen führen.
Dem zeitlichem Ablauf von 24 Stunden entsprechend wird zunächst nur die oberste
Malschicht wahrzunehmen sein, eine chromsilberne Fläche aus Kunstharz mit einer
zarten Gitterstruktur, an der Eiskristalle haften. Danach wird der Einbruch der
Dunkelheit am Spätnachmittag simuliert. Die Eiskristalle scheinen nun zu
schmelzen, wobei die dahinter liegenden Farben und Formen deutlich hervortreten
und faszinierende figurative Bilder freigelegt werden, die in ihrer
atemberaubend intensiven Farben- und Formensprache einen starken Kontrast zu der
monochromen Bildoberfläche bilden. Dieses Spiel mit dem Konzept
Abstraktion-Figuration ist ein weiterer Aspekt, der von Hoetmars Malerei so
ungewöhnlich und neuartig macht. Hatten die Künstler der Moderne sich entweder
für figurative oder für abstrakte malerische Kompositionen entschieden, so
verbindet von Hoetmar die beiden scheinbar nicht zu vereinbarenden künstlerischen
Darstellungsmodi mit Hilfe von Lichtenergie, die den Wechsel von Abstraktion zu
Figuration in einem dynamischen Prozeß vollzieht. Im Rahmen der Malerei ist
dieser Wechsel deshalb so spektakulär, weil er sich auf ein- und derselben Fläche
abspielt. Der Betrachter fühlt sich wie vor eine Kinoleinwand versetzt, auf der
sich eine "Ästhetik der Erscheinens" abspielt. In einem immerwährenden,
kontinuierlichen Kreislauf erscheinen mysteriöse Figuren und treten wieder ab,
wird eine matte, unbunte Farbigkeit durch einen leuchtenden Farbenrausch abgelöst,
drängt sich die Metapher von Geburt und Tod, von Werden und Vergehen auf, die
man gemeinhin mit dem Wandel von Dunkelheit zu Licht assoziiert. Dieses Erlebnis
permanenter Veränderung macht nicht nur den besonderen Reiz der Lichtbilder
aus, sondern es ermöglicht auch eine Erfahrung, die kollektiv verstanden werden
kann, d.h. hier genauso wie am anderen Ende der Welt.